Hawars zweite Hilfslieferung in den Nordirak

Kurzmitteilung Gepostet am Aktualisiert am

Am 23. September starteten wir von Düsseldorf zu unserer dreiwöchigen Reise in den Irak. Wir hatten bereits die erste Hawar-Hilfsaktion über die Jahreswende 2014/15 organisiert, waren in den Irak geflogen und hatten Kleidung und Schulmaterial an Flüchtlinge verteilt – es war ein unschätzbarer Vorteil auf diese Erfahrungen zurückgreifen zu können.

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Beim Austeilen der Nahrung im Sindjar- Gebirge Foto: Eva Grommes

Bedrückender Anlass war damals wie heute die Flucht von Zehntausenden Menschen vor dem Islamischen Staat (im Folgenden IS). Entsetzlicher Höhepunkt: der Überfall des IS in der Nacht vom 2. auf den 3. August 2014 in der Sindjar-Region, dem Hauptsiedlungsgebiet der Eziden. Mehrere Tausend Männer wurden hingerichtet, ca. 7.000 Frauen und Kinder versklavt und 5.000 gelten als vermisst. Es wurden bereits über 14 Massengräber gefunden, weitere werden im Süden der Region befürchtet. Die Eziden flohen, verfolgt vom IS, ins Singjar-Gebirge. Schließlich kämpfte die YPG, der syrische Ableger der PKK, einen Fluchtkorridor in den Norden frei. Heute befindet sich der Süden des Sindjar-Gebirges noch unter Kontrolle des IS, doch der Norden ist seit Dezember letzten Jahres wieder freies Gebiet. Inzwischen – nach unserer Reise – befreiten Peshmerga, YPG und die jesidischen Widerstandsorganisationen HPS und YBS in einer großangelegten Offensive Teile der Südregion des Singjar.

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drei LKW Ladungen im Nahrung für Flüchtlinge im Sindjar Gebirge Foto: Eva Grommes

Bereits die erste Hawar-Reise
ging in den Norden des Iraks bzw. in die autonome Region Irakisch Kurdistan. Formal ist für die Sindjar Region noch die irakische Regierung zuständig, faktisch hat aber die kurdische Regionalregierung die Zuständigkeit übernommen. Doch praktische, tatkräftige Unterstützung leisten derzeit nicht Regierung und Behörden, sondern Hilfsorganisationen wie der Zentralrat der Yeziden. Angesichts der anhaltend schwierigen Lage in dieser Region lag es nahe uns erneut dort zu engagieren.

Warum selbst dorthin reisen und die gesammelten Spenden nicht einfach an eine Hilfsorganisation weiterleiten? Wir wollten sicher sein, dass die Spenden unmittelbar für die Flüchtlinge verwendet und für deren dringlichste Bedarfe eingesetzt werden. Zudem sind wir mit der Kultur vertraut. Wir nahmen also wie im letzten Jahr das gesammelte Geld mit, um vor Ort dringlich benötigte Waren zu kaufen. Mit 23.500 Euro stand uns das Doppelte des Vorjahres zur Verfügung, finanziert durch viele Privatspenden aus der Region Köln. Allein die Beschäftigten der Stadt Köln hatten dem Hawar-Hilfswerk 10.000 Euro gespendet. Zudem haben uns wie im letzten Jahr auch dieses Mal viele private Spenden erreicht. Allein eine ältere Dame, die nicht genannt werden möchte, hat 4000 Euro gespendet. Im letzten Jahr waren wir in ein sicheres Gebiet gereist, in dem die Flüchtlinge in geordneten Lagern und in festen Notunterkünften leben und Schulen für die Kinder eingerichtet sind. Den dringlichsten Bedarf gab es bei den Familien in den Notunterkünften; dort verteilten wir Winterkleidung, Decken und Schulmaterialien. Diesmal reisten wir in das Sindjar-Gebirge, in dem die zweitwichtigste Pilgerstätte der  Eziden liegt, der Tempel Sherfedin. Südlich davon verläuft gegenwärtig die Front, an der Pilgerstätte leben die Familien der ezidischen Kämpfer. Die Versorgungslage dort ist vergleichsweise gut: Elektrizitäts- und Wasserversorgung sind  mittlerweile gesichert. Zudem laden Hilfsorganisationen ihre Hilfsgüter in Regel an der Pilgerstätte ab, weil die Fahrt weiter ins Gebirge beschwerlicher und gefährlicher ist.

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Hilfsgüter für Flüchtlinge im Gebirge Foto: Eva Grommes

Tiefer im Gebirge ist die Situation der Flüchtlinge deutlich dramatischer. Mehr als ein Jahr nach der Flucht leben  dort noch ca. 3.000 Familien, insgesamt mehr als 10.000 Zivilisten. Es gibt keine geordneten Lager, sondern nur primitive, sehr provisorische Unterkünfte (Zelte u. Ä.). Die Grundversorgung – Wasser, Lebensmittel, Ärzte, sanitäre Anlagen, Schulunterricht etc. – ist nicht gesichert und Unterstützung zur Verbesserung der Lage kommt selten bis gar nicht an. Hinzu kommt der nahende Winter: Es wird jetzt schon sehr kalt und regnet häufig. Ohne externe Unterstützung und Hilfslieferungen ist das Überleben im Gebirge gefährdet. Am meisten leiden die Kinder und Jugendlichen unter den unzumutbaren Verhältnissen.

Angesichts dieser Lage entschieden wir, uns auf die Flüchtlinge im Gebirge zu konzentrieren. Nun galt es unsere Finanzmittel möglichst optimal einzusetzen. Hier waren die Erfahrungen und Kontakte unserer beiden erfahrenen Helferinnen Gold wert – wir kauften Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Schulmaterial in Wert von ca. 23.500 Euro. Konkret wurden allein 30 Tonnen Nahrungsmittel erworben, vor allem Bulgur, Tomatenmark, Tee, Öl, Salz und Zucker. Für mehr als 1.600 Kinder besorgten wir Schulranzen, Mäppchen und Schreibmaterialien, aber z. B. auch Zahnbürsten und Zahncreme.

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Flüchtlingsschüler in Shingal Foto: Eva Grommes
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Inhalt der Taschen Foto: Eva Grommes

 

 

 

 

 

 

 

Wir benötigten einige Tage, um die Lebensmittel zu familiengerechten Paketen zusammenzustellen und so eine gerechte Verteilung zu sichern. Dann ging es mit gemieteten Lastern und erfahrenden Fahrern ins Gebirge. Die Strecke war unbefestigt, kurvenreich, steil und rutschig; oft mussten wir aussteigen, weil rangiert werden musste. Aber gefährlicher war, dass dieses Gebiet immer noch als militärisch bedroht galt. Das bekamen wir nachts dann zu spüren, als wir mehrere Kampfflugzeuge über uns fliegen sahen. Die Verteilung von Lebensmittelpaketen, Schulmaterial und Hygieneartikeln im Gebirge nahm – obwohl gut organisiert – natürlich einige Tage in Anspruch. Vor allem nahmen wir uns auch die Zeit für ausführliche Gespräche mit den Flüchtlingen über ihre Situation – und erhielten Einschätzungen, die man üblicherweise nur durch Medien und Experten gefiltert erhält.

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Sindjar Gebirge

Nach einigen Tagen Aufenthalt sind wir wieder in die sicheren Siedlungen zurückgekehrt. Wir waren erschöpft, aber insgesamt – bei allen Mühen und Risiken – mit dem Ergebnis unserer Aktion sehr zufrieden. Allein schon die Freude in den Kinderaugen entschädigte für alle Strapazen. Auf der anderen Seite war uns natürlich klar, dass wir nur einen kleinen Beitrag leisten konnten, die bedrückende Lage der Flüchtlinge zu mildern.

Auf jeden Fall kehrten wir mit dem festen Vorsatz nach Deutschland zurück weiterhin aktiv für Hawar zu arbeiten und zu werben. Wir erleben bei unseren Sammlungen und Veranstaltungen ohnehin, dass nicht nur gespendet wird, sondern auch das Interesse an einer Mitarbeit bei „Hawar“ zunimmt. Inzwischen informieren wir an Schulen über unser Projekt und steigen auch verstärkt in die heimische Flüchtlingsarbeit ein.

Wir haben viele Gespräche mit den Flüchtlingen über ihre Wünsche und Perspektiven geführt. Die weitaus meisten Flüchtlinge wollen nicht nach Europa. Natürlich möchten sie nicht langfristig unter nur provisorischen Bedingungen leben. Doch sie hoffen auf eine Rückkehr in ihre Dörfer bzw. in ihre angestammte Region. Sie setzen dabei einerseits auf militärische und politische Hilfe gegen den IS und andererseits auf Unterstützung beim Wiederaufbau ihrer Dörfer und bei der Infrastruktur des Landes. Mit Ihrer Hilfe haben wir dazu beigetragen, dass diesen Menschen etwas geholfen werden konnte und dafür bedanken wir uns ganz herzlich.